Stone Inside – Innovation für ein besseres Klima

Seit längerem werden faserverstärkte Natursteine für Küchenarbeitsplatten, Aufzugbekleidungen oder edle Bäder angeboten. Doch was die Münchener Firma TechnoCarbon entwickelt hat, geht über diese Anwendungsbereiche weit hinaus und wird dem Naturstein als umweltverträglichem Konstruktionswerkstoff eine neue Bedeutung verleihen.

Was Elektroingenieur Kolja Kuse, sein Bruder Björn, gelernter Steinmetz, und der Kunststoff-Ingenieur Siegfried Brauner sich hier ausgedacht und in zehn Jahren entwickelt haben, rüttelt zunächst einmal massiv an unserem Erfahrungshorizont: Naturstein als Aluminiumersatz? Naturstein anstelle von Stahlbeton? Naturstein als Alternative zu stählernen Blattfedern unter LKWs? Naturstein als Teil von Flugzeugtragflächen oder Helikopterflügeln? Dagegen mutet die Anwendung als superdünne Küchenarbeitsplatte mit unsichtbaren Kochfeldern oder als beheizte Wand im Badezimmer doch geradezu vertraut vernünftig an.
 

Gewagt sind die Ideen, die Techno- Carbon auf Messen wie der Materialica, EuroLite oder Stone+tec vorstellt, auf alle Fälle, aber verrückt sind sie nicht. Nur neu gedacht. Carbonfaserverstärkte Baustoffe – so genannte CFK – gibt es nämlich schon länger. Man baut daraus leichte und stabile Fahrradrahmen, fast komplette Autos, Verstärkungslamellen für Betonkonstruktionen und vieles andere mehr. Und auch die Armierung von dünnen Natursteinplatten ist ja nichts neues.

Druckstabil und zugfest

Warum also die Kombination Naturstein und Carbonfaser? Ganz einfach: CFS (Carbon-Faser-Stein) kann mehr. Weil Naturstein eine enorme Druckfestigkeit aufweist und sich dennoch komprimieren lässt, während Carbonfaser eine extrem große Zugfestigkeit bei einer geringen Zug-Dehnung bietet. Setzt man den Stein unter Vorspannung und verbindet ihn dann mittels Epoxidharz kraftschlüssig mit dem Carbonfasergewebe, so lässt er sich in geradezu unglaublichem Maß belasten und biegen, ohne zu brechen.

Das Geheimnis des patentierten Verfahrens liegt darin, auf den Stein selbst nur Druck auszuüben und ihn zu komprimieren, während die Zugkräfte vom Carbongewebe fast ohne Dehnung aufgenommen werden. Anschaulich zu sehen ist das bei einer nur drei Millimeter dünnen, aber dreieinhalb Quadratmeter großen, auf der Unterseite armierten Granitplatte: Angehoben von zwei Leuten hängt sie um mehr als 30 cm durch – und nimmt dabei keinen Schaden. Würde man die Steinseite nach unten drehen, bräche die Platte dagegen sofort durch.

Und hier setzt der zweite innovative Gedanke von Kuse & Co an: Warum nicht beide oder gar alle Seiten des Steins mit der Faser umkleiden und daraus einen Konstruktionswerkstoff machen, der gleichzeitig leicht und stabil ist und bei der Herstellung viel weniger Energie verbraucht als Stahl, Aluminium und Beton? Und dabei eine Vielzahl technischer Vorteile bietet, die derzeit kaum bekannt sind?

Leicht und formstabil

Denn es gibt noch viel mehr Gründe für den Kern aus Stein. So hat – man mag es kaum glauben – Granit ein spezifisches Gewicht, das etwa dem von Aluminium oder rund einem Drittel des Gewichts von Stahl entspricht. Stein ist also leicht! Dennoch ist die Druckbelastbarkeit von Granit so hoch wie die von Baustahl und viermal höher als die von normalem Baubeton.

Zudem wird die ohnehin geringe Temperaturausdehnung von Naturstein von der ebenfalls geringen, noch dazu aber in Längsrichtung negativen Temperaturdehnung der Carbonfaser (die Faser zieht sich unter Wärme zusammen, wird dabei aber breiter) kompensiert. Das bedeutet, CFS kann so eingestellt werden, dass es – anders als Metall – unter Wärmeeinfluss seine Maße praktisch nicht verändert.

Elastisch und schwingungsdämpfend

Durch die Wahl des Natursteins – Granite und Gneise zeigen hier sehr spezifische Unterschiede – und die Faserrichtung der Carbonfaser können ganz gezielt bestimmte Eigenschaften eingestellt werden: Je mehr die Faser in Längsrichtung eines Bauteils ausgerichtet ist, desto steifer ist sein Verhalten; umgekehrt wird es weicher und biegsamer, wenn die Faserorientierung schräg zur Bauteilachse verläuft. So kann der Elastizitätsmodul in weiten Bereichen (auch über das Verhältnis von Stein und Carbonfaser) eingestellt werden. Noch erstaunlicher ist, dass dabei keinerlei Restbiegung entsteht: wird die Last weggenommen, kehrt das Bauteil vollständig in seine ursprüngliche Form zurück.

Dabei zeigt CFS ein ausgezeichnetes Ermüdungsverhalten: Eine Million Lastwechselspiele haben beidseitig beschichtete Prüflinge ohne sicht- oder messbare Strukturveränderungen hinter sich gebracht.

CFS bietet darüber hinaus ein lineares Dämpfungsverhalten. Das bedeutet, dass das Material ohne langes Nachschwingen schnell zur Ruhe kommt. Auch dies ist bei metallischen Strukturen ganz anders, sie schwingen lange nach und können sich unter ungünstigen Bedingungen – der Resonanzfrequenz – sogar bis zur Selbstzerstörung »aufschaukeln«. Was heute mit sehr viel Aufwand und zum Teil mit komplexer Regelungstechnik reduziert werden muss, könnte durch CFS künftig gleich vermieden werden. Anwendungen etwa in der hochpräzisen Positionierung von Maschinenteilen zeichnen sich ab.

 

Vielseitig und umweltverträglich

Mit CFS lassen sich Bauelemente und Tragstrukturen herstellen, die nachgiebig und gleichzeitig druckstabil sind, leicht und verwindungssteif, vibrationsdämpfend und ermüdungsbeständig, und nicht zuletzt auch noch chemisch resistent und rostfrei. Dabei ist von Vorteil, dass sich die CFS-Bauteile mit herkömmlichen Methoden und in der Steinindustrie üblichen Bearbeitungsmitteln bohren und sägen, mit Schrauben verbinden und darüber hinaus auch noch gut kleben lassen.
 

Wer sich einlässt auf die Möglichkeiten, die CFS bietet, dem fallen schnell neue Ideen zur Nutzung ein. CFS-Träger könnten den Hoch- und Brückenbau revolutionieren und Stahlarmierungen oder besser noch den Stahlbeton komplett ersetzen. Erdbebensichere Bauwerke und leichte, einsturzsichere Hallendächer ohne kostenträchtige Schwingungskompensatoren sind denkbar. Auch ein großer Photovoltaik- Hersteller hat schon Interesse gezeigt: Er würde gerne das ungeliebte Aluminium für die Montagerahmen und den Stahl für die Stützen durch einen weniger problematischen Werkstoff ersetzen.

In Automobilkarosserien könnte CFS für deutlich weniger Gewicht bei größerer Crashstabilität sorgen, im Bootsleichtbau für hohe Verwindungssteifigkeit bei großer Bruchfestigkeit. Im Maschinenbau, wo häufig vor allem das Schwingungsverhalten schwer zu beherrschen ist, ermöglichen CFS-Komponenten leichte und dennoch hochstabile, ermüdungsfeste und vibrationsarme Konstruktionen – hochinteressant unter anderem für Brückensägen und schwere stählerne Handhabungsgeräte mit schnellen Bewegungen bei großen Massen. Die dünnen, beidseitig armierten CFS-»Bleche« haben als Leichtbau- Halbzeug bereits Einzug in den Maschinenbau gehalten.


Von diesen Produkten ist der Weg zum Einsatz von CFS im Rotor für Windkraftwerke oder für Flugzeugflügel nicht mehr weit, denn auch hier kommt es auf Hochfestigkeit und Elastizität, geringes Gewicht und hohe Vibrationsdämpfung sowie auf eine extreme Ermüdungsfestigkeit an – Eigenschaften, die der CFS hervorragend erfüllt.

Und dabei auch noch einem Anspruch gerecht wird, der Kolja Kuse mehr als alles andere am Herzen liegt: herstellbar aus Rohstoffen, deren Gewinnung und Verarbeitung umweltverträglich ist und deutlich weniger Energie verbraucht, als für die Erzeugung von Stahl, Aluminium und Beton aufgewendet werden muss. Zumal die genannten Metalle derzeit knapp sind und darum immer teurer werden.

Vorteile im klassischen Einsatzbereich

Auch im herkömmlichen Anwendungsbereich für Naturstein finden sich alte und neue Ideen: bereits genannt wurde der Einsatz 10 mm dünner CFS-Granite als Küchenarbeitsplatten. Buffets mit integrierten Induktionskochfeldern oder Kühlaggregaten, wie sie für die Marriott- Hotels in Paris, Zürich und Pilsen realisiert wurden, verbinden die klassische Schönheit von Naturstein mit neuester Technik. Wer es sich leisten kann (noch werden die Unikate in aufwändiger Handarbeit hergestellt und sind entsprechend teuer), kann zuhause einen Traumherd mit durchgehender Granitfläche installieren lassen, bei dem das Spiegelei scheinbar irgendwo »auf dem Tisch« gebrutzelt wird.

Zur Stone+tec wurde auf dem Stand von Rossittis ein Badezimmer präsentiert, bei dem die Wandelemente aus nur drei Millimeter CFSPlatten mit brasilianischem Granit bestehen. Hinter der Stein-Carbonschicht befindet sich eine 0,1 mm dünne Heizfolie, die die Steinoberfläche innerhalb von 90 Sekunden auf 26°C erwärmt. Diese Art der Wärmewellenheizung ist trotz der elektrischen Versorgung energiesparend, weil sie sofort aktiv ist und nur so lange eingeschaltet sein muss, wie man sie nutzt. Ähnlich können schüsselfreie Bekleidungselemente für alle Bereiche der Innenarchitektur realisiert werden, und auch für leichte, witterungsbeständige Gartenmöbel gibt es schon Entwürfe.

Chancen für die Natursteinindustrie

Noch werden die einzelnen Arbeitsschritte wie das Kalibrieren, Beschichten, Auftrennen, Schleifen und Polieren sowie Wasserstrahlschneiden und Komplettieren der Platten bei Partnerfirmen wie Grein, Becke, Augst, Tabarelli oder Udo Huber an den verschiedensten Standorten durchgeführt und sind entsprechend aufwändig. Der geplante Aufbau einer ersten integrierten Produktionsanlage ist daher eilig, doch sollen dabei die anderen technischen Nutzungsmöglichkeiten konsequent weiterverfolgt werden.

Mitstreiter sind immer willkommen. »Design-on-Demand« ist das Motto. Natursteinbetriebe sollen die Möglichkeit erhalten, mit CFS neue Geschäftsfelder zu erschließen und auch eigene Ideen gemeinsam mit TechnoCarbon zu neuen Produkten zu entwickeln. Der Natursteinindustrie eröffnen sich hier völlig neue Anwendungsfelder und damit Kundenkreise. Zumal die Entwicklung noch ganz am Anfang steht: So muss ausprobiert werden, welcher Stein für welche Anwendung das günstigste Verhalten zeigt.

Maschinenbauer, Bauingenieure und Architekten sollen den Werkstoff entdecken und ganz neue Konstruktionen entwickeln. Langzeitversuche und praktische Erfahrungen werden neue Möglichkeiten zeigen und sicher auch Grenzen. Bauaufsichtliche Zulassungen müssen beantragt und die dafür erforderlichen Nachweise erbracht werden. Das kann im von Kuse und seinen derzeit zehn Mitstreitern angestrebten Tempo nur gelingen, wenn aus allen Branchen Interessenten und Investoren hinzu stoßen und die Weiterentwicklung und praktische Umsetzung vorantreiben.

Chancen für das Klima

»CFSinside«, der Markenname ist Programm. Genau so selbstverständlich überall »drin« wie heute die Intel-Prozessoren in PCs, so sollen die carbonfaserummantelten Natursteine von TechnoCarbon einmal als vielseitiger Leichtbaustoff in nahezu allen Lebensbereichen zu finden sein – und dabei die CO2- Belastung unserer Atmosphäre reduzieren. »Wie ein namhafter deutscher Klimaforscher immer wieder mahnt, müssen wir innerhalb von 100 Jahren den CO2-Ausstoß auf unter 20 % des heutigen Wertes senken, wenn wir die Klimaveränderungen auch nur halbwegs unter Kontrolle bringen wollen«, zeigt sich Kuse besorgt und angespornt zugleich. »Das ist insbesondere für die hochtechnisierten Länder ein sportliches Ziel, und CFS könnte hier einen wesentlichen Beitrag leisten.« Und darum will er seine Erfindung schnellstmöglich weltweit verfügbar machen und die Vermarktung der Idee so einfach und preiswert wie möglich gestalten. »Wenn es gelingt, den Einsatz von Stahl und Aluminium zu reduzieren, kann viel Energie eingespart werden. Darüber hinaus bietet CFS die Möglichkeit sehr individueller Produkte, die in Handarbeit vor Ort angefertigt werden und damit Arbeitsplätze schaffen und binden. Andererseits lassen sich Massenprodukte etwa für den Maschinenbau in vollautomatisierter integrierter Fertigung preisgünstig herstellen, so dass CFS seine ökologischen wie technischen Vorteile auch in großem Umfang ausspielen kann«, begründet Kuse seine offene Strategie.

So ist es nicht verwunderlich, dass TechnoCarbon an der Internationalen Klimakonferenz in Bali im November 2007 teilnahm und dort seine innovativen Ideen Fachleuten und Entscheidern aus der ganzen Welt präsentierte. Kolja Kuse betont, dass gerade die so genannte »Dritte Welt« großes Interesse an dem neuen Material zeigte, weil Ihnen konventionelle Baumaterialien wie Metall und Zement fehlen und die hohen Preise für diese Werkstoffe die technische Entwicklung zusätzlich hemmen.

Um CFS möglichst schnell im Maschinenbau und in der Architektur nutzbar zu machen und damit den Klimavorteil zu nutzen, wurde der Förderverein GRANIDUS (Granite for the Innovative and Diversified Usage of Stone) (www.granidus.eu) gegründet. Granidus soll dabei als Plattform dienen für die Forschung, Entwicklung und Verbreitung CO2-neutraler Werkstoffe auf der Basis von Naturstein. Weitere Informationen sind zu finden unter www.granidus.eu.

TechnoCarbon Technologies GbR, D - 81925 München. Tel. 0049 89 929 54 22 www.technocarbon.com - kk@technocarbon.de
 

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